Mit Nichts in Gödringen angekommen
Am 8. Juni 1946 ist Horst Weichert, Jahrgang 1940, mit seiner Familie im 350-Seelendorf Gödingen ankommen, hinter ihm lag die furchtbare Zeit der Vertreibung aus Hirschberg/Schlesien sowie der etwa drei Wochen langen Flucht. "Was wir hatten, hatten wir am Leib" erzählte er heute Nachmittag im Sitzungssaal des Rathauses gegenüber Journalisten.
SARSTEDT.
In diesem Jahr werden bedingt durch die Corona-Pandemie landauf und landab am Volkstrauertag (15. November) keine Gedenkfeiern durchgeführt. "Das Kriegsende liegt jetzt 75 Jahre zurück", sagte Heike Brennecke, Bürgermeisterin der Stadt Sarstedt, zur Einleitung. Neben Weichert und der Bürgermeisterin nahmen auch Stadtmanagerin Andrea Satli und Sarstedts Heimatpfleger Werner Vahlbruch an diesem Pressegespräch teil. Für alle Beteiligten passt Horst Weicherts Geschichte in diese Zeit. "Das Schicksal der Vertriebenen ist ein lebensbeherrschendes Ereignis im Leben der Betroffenen", sagte Heike Brennecke. "Das bewegt vor allem jene, die heute noch leben."
Zu diesen Menschen zählt Horst Weichert. Seine Eltern bewirtschafteten in Hirschberg einen Bauernhof. "Ich war noch Kind und habe schon einiges erlebt", berichtet er. Zunächst seien nach Kriegsende die Russen gekommen und hätten sich genommen, was es zu nehmen gab. "Wir waren vogelfrei. Und als dann die Polen kamen und das Sagen hatten, änderte sich alles, sie jagden uns geradezu vom Hof und zum Teufel. Sie nahmen sich, was sie brauchten. Selbst die Hühner mit ihren Eiern wurden von ihnen beaufsichtigt. Es gab nichts mehr zum einkaufen." Das änderte sich 1946, da kamen die Ausweisungen, die Menschen mussten ihre Heimat verlassen, was sie noch hatten, trugen sie am Körper und dazu ein Bündel mit diversen Sachen.
Die Flüchtlinge werden zu einem Sammelpunkt in der Kreistadt geführt und dort in einen Viehwaggon gefercht - und ab ging die Reise in den Westen. "Über Salzgitter-Immendorf kamen wir nach Harsum und dann mit einem Lastwagen nach Gödringen", erinnert sich Horst Weichert noch genau an jene Tage. "Die Einwohnerzahl des Dorfes erhöhte sich in kurzer Zeit auf achthundert, denn hier wurden auch ausgebombte Menschen aus Hannover, Hildesheim und sogar aus Leipzig sowie Köln einquartiert. Wir wurden zunächst im Saal der Gastwirtschaft Busch untergebracht. Jedes freie Loch wurde mit Menschen zugestopft."
Interessant: für die Hirschberger war Gödingen kein unbekanntes Dorf, denn - wie Weichert berichtet - wurde in Hirschberg eine Papierfabrik mit Gödringer Sand beliefert. "Der wurde für die Gießerei benötigt." Und es gab noch eine Gemeinsamkeit: Gödringen und Hirschberg lagen an der Reichsstraße 6, heute die B 6. "Die führte damals bis nach Schlesien."
Horst Weichert hat inzwischen seine Heimatstadt besucht, das Elternhaus aber nicht betreten. "Mein Eltern sind nicht mehr dort hin gefahren, aber mein Bruder war im Haus", sagte Weichert. In Gödringen würden heute noch sieben Menschen leben, die aus Hirschberg stammen.
Enttäuscht zeigt sich Horst Weichert darüber, dass das Mahnmal am Ostertorplatz in Sarstedt, es erinnert wie berichtet an die Flucht, einen Standort habe, der kaum Beachtung finde. "Im Pattenser Ortsteil Schulenburg steht so ein Mahnmal direkt an der Hauptstraße", betont Weichert. Der Vorschlag, einmal im Jahr am 8. Juni dort einen Blumenstrauß niederzulegen und damit die Ereignisse von 1946 den Menschen in Sarstedt wieder etwas ins Bewusstsein zu bringen, stieß offenkundig auf Interesse.
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